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Mitarbeiter allein zuhaus

Zu Beginn der Corona-Pandemie erschien das Homeoffice plötzlich als der beste aller Arbeitsplätze. Das kann es auch sein. Muss es aber nicht.
Veröffentlicht am 08.06.2022
Bild: pressmaster - stock.adobe.com

Mit Ankunft des Coronavirus in Deutschland schickten viele Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice, um die Ansteckungsgefahr für alle zu minimieren. Denn öffentliche Verkehrsmittel galten in Zeiten wie diesen als Virentaxis. Und auch im Büro war die Ansteckungsgefahr durch Kollegen naturgemäß wesentlich größer als am heimischen Schreibtisch. Wer also die vorangegangenen Jahre mit seinem Vorgesetzten darüber gestritten hatte, ob nicht zumindest ein Homeoffice-Tag in der Woche drin sein könnte, fand sich plötzlich home alone – tage-, wochen-, monate- oder inzwischen sogar zweijahrelang. Nach wie vor bringt das Arbeiten von zuhause viele Vorteile mit sich, aber auch einige Nachteile. Denn nicht jeder ist dafür geeignet, zuhause allein vor sich hinzuarbeiten – auch, wenn es in Zeiten einer weltweiten Pandemie natürlich absolut Sinn macht.

DAS HEIMBÜRO HAT VIELE VORTEILE

Ganz unabhängig von der Corona-Pandemie ist das Arbeiten von zuhause für viele Menschen ein sehr attraktives Arbeitsmodell. Und das völlig zurecht: Dem digitalen Wandel sei Dank können sie sich von überall auf der Welt in jedes noch so entfernte Büro auf der Schwäbischen Alb oder in New York City einklinken, können per Videokonferenz an Meetings teilnehmen und dank Datenübertragung in Lichtgeschwindigkeit ihre Arbeit mit Vorgesetzten und dem Team oder Auftraggebern teilen. Viele Unternehmen in ganz Deutschland haben in den vergangenen Jahren aus genau diesen Gründen die Heimarbeit eingeführt. Eines von vielen Beispielen ist der Zulieferkonzern Bosch, der seinen Mitarbeitern schon vor zehn Jahren die freie Arbeitsplatzwahl angeboten hat. Damals wollte kaum jemand von diesem Angebot Gebrauch machen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung fand damals sogar heraus, dass die Deutschen gar kein Interesse daran hatten. Bis zu Beginn der Pandemie war die Situation bereits eine andere: Aus Sicht der Unternehmen war das Homeoffice bis zum Frühjahr 2020 ein Mitarbeiter-Goodie, aus Sicht der Arbeitnehmer fiel es unter die Standardanforderung an einen modernen Arbeitsplatz. In den vergangenen 24 Monaten hingegen verbrachten viele Tausend Deutsche einen Großteil ihrer Arbeitszeit zuhause – mehr unfreiwillig als freiwillig.

GROSSE FLEXIBILITÄT KOMMT VIELEN ENTGEGEN

Unter „normalen“ Umständen profitieren viele Mitarbeiter sehr davon, wenn sie im Homeoffice arbeiten können. Mütter können von zuhause arbeiten, wenn ihre Kinder krank sind oder ein ungünstig liegender Arzttermin den Arbeitstag ohnehin sprengt.
Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben von zuhause aus eher die Chance, selbst finanziell für sich zu sorgen. Und Angehörigen von pflegebedürftigen Verwandten fällt es dank Homeoffice leichter, sich um ihre Familie zu kümmern. Immerhin werden in Deutschland weit über eine Millionen Pflegebedürftige in ihrem Zuhause durch Angehörige versorgt – Tendenz steigend.

KONZENTRIERTES ARBEITEN OHNE UNTERBRECHUNG

Wer sonst im Großraumbüro jedes Telefonat der Kollegen mitbekommt und von ihnen darüber hinaus noch ständig belagert wird, genießt die Ruhe und das konzentrierte Arbeiten zuhause. Endlich mal an einer Sache dranbleiben können, ganz im eigenen
Tun versinken und den Flow spüren, der sich einstellt, wenn niemand dazwischenquatscht: So macht Homeoffice richtig Spaß. Erst recht vor dem Hintergrund, dass Homeoffice-Arbeiter sich nach ihrem eigenen Biorhythmus richten und gegebenenfalls erst einmal ausschlafen und dann ausgiebig frühstücken können, anstatt um 7 Uhr morgens aus dem Haus zu hetzen. Dafür lassen sie, wenn sie sonst mittags nur in die Kantine gehen, weil alle anderen auch gehen, die Mittagspause ausfallen und arbeiten durch. Trotzdem schadet es überhaupt nicht, sich selbst feste Arbeitszeiten zu setzen und sich auch an diese zu halten. Dann passiert es auch nicht, dass zuviel wertvolle Arbeitszeit mit Wäschewaschen, Wohnung putzen, Lebensmittel einkaufen oder privaten E-Mails vertrödelt wird.

BURNOUT-GEFAHR IM HOMEOFFICE

Viele Vorgesetzte, die mit ihren Mitarbeitern früher hartnäckig um Homeoffice-Tage feilschten, befürchteten aus eben genannten Gründen, dass ihre Mitarbeiter zuhause weniger leistungsfähig sind. Doch die Studie „Does working from home work“, die 16.000 Mitarbeiter einer chinesischen Reiseagentur befragte, kam zu dem Ergebnis, dass die Homeoffice-Arbeiter 13 Prozent produktiver waren als die, die im Büro saßen. Und eine Untersuchung der UN fand heraus, dass Kollegen im Homeoffice mehr unbezahlte Arbeit leisten und eher an Stress und Schlaflosigkeit leiden. Selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet vor, dass Mitarbeiter im Homeoffice fast doppelt so viele Überstunden anhäufen als im Büro. Dazu kommt, dass sie trotzdem noch immer misstrauisch von ihren Kollegen beäugt werden, als würden sie zuhause ausschließlich die Beine hochlegen. Die Folge: Menschen, die im Homeoffice arbeiten, muten sich oft zu viel zu und leben mit einer erhöhten Burnout-Gefahr. Kein Wunder, fehlt doch die klare Trennlinie zwischen Arbeit, Pause und Feierabend. JOB UND PRIVATES GEHEN FLIESSEND INEINANDER ÜBER Wer zwischen Job und Zuhause keine 30 Kilometer, sondern nur zehn Meter zurücklegen muss, bleibt ständig im Arbeitsmodus und zieht seine Arbeitszeit oft bis in den späten Abend hinein. Es fehlt schlichtweg die räumliche Distanz zum Abschalten. Umgekehrt ist die Gefahr der Ablenkung groß – es gibt zuhause immer etwas zu erledigen. Viele Homeoffice-Arbeiter haben ihre liebe Not damit, sich zu konzentrieren und produktiv zu bleiben, wenn die Waschmaschine fiept, weil sie fertig geschleudert hat, oder die Kinder „Hunger, Hunger“ rufen. Durch solche und viele andere Unterbrechungen nimmt die Produktivität ab. Nur, wer über viel Selbstdisziplin verfügt und für sich selbst Prioritäten klar definieren kann, ohne, dass Kollegen und Vorgesetzte ihn kontrollieren, kann im Homeoffice auf lange Sicht erfolgreich arbeiten. Außerdem erschwert die räumliche Distanz die Kommunikation, weil für jede noch so kurze Absprache eine E-Mail oder ein Telefonat nötig sind.

DER AUSTAUSCH KOMMT ZU KURZ

Die ständigen Liebeskummer-Geschichten der Bürokollegin am Nachbartisch mögen nerven. Doch immerhin halten sie einen davon ab, sozial zu vereinsamen. Und weil es meistens nicht nur diese eine Kollegin, sondern auch noch etliche andere gibt – die im Idealfall in stabilen Beziehungen leben – ist der zwischenmenschliche Austausch einer der großen Pluspunkte des Büros. Wer mit Kollegen Kaffee trinkt oder zu Mittag isst, ist wesentlich zufriedener mit seinem Job als jemand, der darauf verzichten
muss. Stattdessen führt das Homeoffice dazu, dass wichtige Infos und Vorgänge im Unternehmen an den Kollegen vorbeigehen, die von zuhause arbeiten. Jemand, der Angst hat, den Anschluss zu verlieren und sich im Homeoffice nicht genug profilieren zu können, um auf der Karriereleiter weiter nach oben zu klettern, wird damit seine liebe Not haben. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich nach zwei Jahren Homeoffice und Videokonferenzen viele Arbeitnehmer nichts sehnlicher wünschen, als endlich wieder regelmäßig ins Büro gehen und dort arbeiten zu können.

AUF EINEN BLICK:

5 Vorteile vom Homeoffice

  • Zeitersparnis
  • Flexibilität
  • Work-Life-Balance
  • Stressreduktion
  • Reduzierte Kosten

5 Nachteile von Homeoffice

  • Fehlen von sozialen Kontakten
  • Starke Ablenkung
  • Fehlende Motivation
  • Vorurteile
  • Vermischung von Beruf und Privat

VON HEIKE THISSEN