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Ist die Fünf-Tage-Woche ein Auslaufmodell?

Flexible Arbeitszeitmodelle haben seit der Pandemie Hochkonjunktur, doch nun rückt der Gedanke, ob die Fünf-Tage-Woche ausgedient hat, weiter in den Fokus.
Veröffentlicht am 06.04.2022
Bild: New Africa – stock.adobe.com

Flexible Arbeitszeitmodelle haben Hochkonjunktur. Neben Homeoffice, Gleitzeit und individueller Arbeitseinteilung rückt ein Gedanke weiter in den Fokus: Hat die Fünf-Tage-Woche ausgedient?

Die heute in vielen Branchen und Unternehmen etablierte Fünf-Tage-Woche ist in Deutschland seit den 1960er-Jahren an der Tagesordnung. Montag bis Freitag wird gearbeitet, der Samstag und Sonntag bietet Zeit für die Familie und Entspannung. Zahlreichen Arbeitnehmern ist das alte Modell zu starr.

Der Blick über den Tellerrand

Viele Beschäftigte, aber auch Experten fordern schon länger eine Abkehr der seit über 60 Jahren bei vielen Unternehmen in Stein gemeißelten 40-Tage-Woche mit zwei freien Tagen am Wochenende. Die Pandemie mit ihren Auswirkungen hat diese Gedankenspiele beschleunigt.

Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt: In einigen Ländern ist der Gedanke bereits Realität geworden. Das jüngste Beispiel ist Belgien. Der deutsche Nachbarstaat hat im Zuge einer Arbeitsmarktreform die Abkehr von der Fünf-Tage-Woche beschlossen. Im neuen Arbeitszeitmodell können Beschäftigte künftig nur noch vier Tage pro Woche arbeiten – bei gleichbleibender Stundenzahl.

Wer also bisher gleichmäßig verteilt acht Stunden gearbeitet hat, arbeitet künftig zehn Stunden pro Tag bei gleicher Lohnzahlung wie bisher. Arbeitgeber erhoffen sich dadurch in erster Linie gesteigerte Produktivität und weniger Krankheitstage. Arbeitnehmer hingegen blicken zufrieden auf die Option, künftig drei Tage pro Woche zur gänzlich freien Verfügung zu haben.

Eine Möglichkeit, die in beiden Lagern für Pro und Contra sorgt. Doch ist Belgien das erste Land, das einen solchen Vorstoß wagt?

Frühe Tests und Experimente, aber kaum Nägel mit Köpfen

Belgien folgt mit seiner Reform zahlreichen Experimenten, Tests und Studien, die die Wirksamkeit einer verkürzten Arbeitswoche belegen. Vorreiter sind vor allem skandinavische Länder wie Island, das bereits 2015 in einem groß angelegten Experiment die Auswirkungen einer Umstellung empirisch untersucht hat.

Auch andere europäische Länder machen ihre Erfahrungen mit einer Abkehr der klassischen Arbeitswochengestaltung. In Spanien arbeiten beispielsweise 6.000 Menschen aus kleinen und mittelgroßen Betrieben bei gleichem Gehalt einen Tag pro Woche weniger.

Selbst in Deutschland gibt es erste Experimente: In Bayern arbeiten einige Unternehmen nur noch an vier Tagen pro Woche. Lob dafür gibt es von der IG Metall, die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft hingegen sieht darin keine Zukunft.

Drei-Tage-Woche und unbegrenzter Urlaub?

Die vorgestellten Modelle folgen alle dem gleichen Schema: Reduzierung der ursprünglichen Tageszahl von fünf auf vier bei gleichbleibendem Gehalt. Teilweise bei gleicher Arbeitszeit, stellenweise fällt diese einfach weg. Doch gibt es noch weitere Alternativen?

Vereinzelt spielen Unternehmen mit den Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung und bieten ihren Arbeitnehmern verschiedene Möglichkeiten. Ein Personalvermittler setzt beispielsweise auf eine unbegrenzte Anzahl an Urlaubstagen. So sollen unproduktive Arbeitstage, an denen Mitarbeiter nur „ihre Zeit absitzen“, vermieden werden. Das Modell funktioniert nach Aussage der Firma. Andere Beispiele zeigen allerdings auch, dass diese Variante an ihre Grenzen stößt.

Ebenfalls eine Option: Die vollständige Individualisierung der Arbeitszeit. Arbeitnehmer entscheiden also eigenständig, wann sie arbeiten und wann nicht – oder auch, wann sie ins Büro kommen und wann sie zuhause bleiben. Dieser rein vom Workload getriebene Ansatz erfordert ein Höchstmaß an Vertrauen und funktioniert nicht in jeder Branche oder jedem Unternehmen.

Selbst ist das Unternehmen

Die ausgefallenen Beispiele zeigen: Kein Unternehmen ist zu einer Fünf-Tage-Woche verpflichtet, nur weil es der Gesetzgeber so „vorschreibt“.

Die sich zuspitzende Situation auf dem Arbeitsmarkt im Kampf um Arbeitskräfte erfordert kreative Methoden, um sich als Arbeitgeber attraktiv zu positionieren. Dazu können punktuelle Lockerungen bei der Arbeitszeit oder gänzlich neue Zeitmodelle gehören.

Auch die Branche macht die Musik. Während im produzierenden Gewerbe die Flexibilität Grenzen hat, da Maschinen (noch) nicht autark funktionieren, stellt sich die Lage im Vertrieb oder E-Commerce-Firmen anders dar. Gerade in agilen, jungen und „digital-only“ Unternehmen finden sich vermehrt neue und flexible Arbeitszeitmodelle.

Letztlich gilt: Selbst ist das Unternehmen. Wer mit Alternativen zur Fünf-Tage-Woche seine Produktivität steigern kann, kann ein Experiment à la Island oder Spanien wagen. Ob nach der 60 Jahre alten Reform von sechs auf fünf Arbeitstagen pro Woche der Gesetzgeber einen weiteren Schritt auf der Arbeitszeitleiter nach unten nimmt, steht in den Sternen.

VON JOHANNES STRIEGEL