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Wozu sollen wir noch jeden Tag ins Büro gehen?

Warum geht man künftig überhaupt noch ins Büro? „Weil ich hingehen möchte – nicht, weil ich muss!“ So hat es der Stuttgarter Architekt Peter Ippolito jüngst beim digitalen NWXnow-Kongress erklärt.
Veröffentlicht am 14.11.2020
Ob der Computer zuhause steht oder im Büro, das spielt heute keine entscheidende Rolle mehr. Die Arbeit von daheim aus ist alltäglich geworden. Bild: dpa

Erlebnis statt Routine

Während berufliche Alltagsaufgaben häufig auch von irgendwo zu erledigen sind, wird das Büro immer zum Ort für Emotionen und für das Besondere: Es geht um Sinnstiftung, Identität und Rituale, und auch darum, der Kreativität durch Begegnungsräume auf die Sprünge zu helfen.

Abschied vom Territorium

Damit und aufgrund der massiv gestiegenen Quote an „Remote Work“ dürfte die Corona-Krise den zumindest in Großstädten zu beobachtenden Trend zu flexiblen Bürokonzepten verstärken. Denn erst der Wegfall fest vergebener Schreibtische schafft Platz für alternative Raumtypen – sei es als temporäre Heimat agil arbeitender Teams, sei es als Mönchszelle für hochkonzentrierte Stillarbeit. „Interessanterweise lässt sich gerade bei Personen mit einer mobileren Arbeitsweise der Einfluss der physischen Arbeitsumgebung noch ausgeprägter feststellen als bei Personen, die nahezu permanent im Büro arbeiten“, heißt es hierzu in einer aktuellen Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).

Das biophile Büro

Auch gesundheitlich spricht Einiges für offene Lösungen, denn hier Abstands- und Hygieneregeln: „ Je offener und flexibler ein Büro geplant ist, desto effizienter ist auch eine Covid-19-gerechte Lösung umsetzbar“, erklärt Pirjo Kiefer, Head of Interior Design Services beim Möbelhersteller Vitra. „Einzelbüros oder auch Doppelbüros sind viel unflexibler in der Kapazitätsplanung.“ Auch High Tech-Oberflächen, die wie in modernen Auto-Cockpits eine berührungsfreie Bedienung erlauben, wird man vermehrt sehen. Daneben rückt das Konzept des „biophilen Büros“ in den Vordergrund. Pflanzen, der Einsatz der Elemente und Außenflächen sowie Farben, Materialien und Drucke sorgen hier für Naturerlebnisse.

Co-Working als Mittelweg

„Es ist der Anfang vom Ende der Bürokultur“: So begann der Nachrichtendsender CNN im August die Nachricht von einem Immobilienverkauf. Der US-Outdoorhersteller REI kündigte an, sich von seinem gerade erst fertiggestellten, acht Hektar großen Campus zu trennen. Stattdessen können die Mitarbeiter dezentrale Co Working-Arbeitsplätze in der Nähe ihrer Wohnorte anmieten – und damit das Beste aus zwei Welten kombinieren: keine langen Wege, aber unmittelbarer Austausch mit Kollegen und eine Trennung von Arbeit und Wohnen.

Neue Gesichter, neue Nutzungen

„Wie in einem Western, indem der Staub durch die leeren Gassen fegt“, kommt sich der Londoner Architekt Gary Turnbull derzeit beim Gang durch die City vor. Was geschieht mit den leeren Flächen und den üppigen Foyers, falls sie nicht wieder dauerhaft gefüllt werden? Neue Untermieter wären eine Lösung, eine andere neue Nutzungen. Klingt utopisch? Das „Büroladencafé“ von Knoblauch in Markdorf oder das ZF Forum mit dem integrierten Ausstellungsbereich zeigen, dass dies auch am Bodensee denkbar ist.

VON JENS POGGENPOHL